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Wenn ein Theater fliegen könnte (14.5.2020)

Österreich ist eine Kulturnation. Jedenfalls im offiziellen Selbstverständnis der Republik. Das half schon nach dem ersten Weltkrieg zur Identifikation als eigenständiger Staat und nach dem zweiten Weltkrieg, um den Wiederaufbau auch ideologisch zu unterstützen. 1

Schon im Regierungsprogramm der ersten vom aktuellen Bundeskanzler geführten Regierung war von der „Kulturnation Österreich“ die Rede. Da war auch zu lesen, dass die hervorragenden Leistungen in Kunst und Kultur ein wesentlicher Faktor für die Bedeutung Österreichs in der Welt wären. Die Verfasser bekannten sich daher ausdrücklich zur öffentlichen Förderung von und Verantwortung für Kunst und Kultur. Budgetäre Ausgaben für Kunst und Kultur werden als nachhaltige Investitionen in Kreativität und gesellschaftliche Innovation bezeichnet. Schließlich sind Kunst und Kultur bedeutende Elemente gesellschaftlichen Zusammenhalts, liest man zustimmend (Seite 92).

Im aktuellen Regierungsprogramm wird immerhin noch das Ziel vorgegeben, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die in der Kunst und Kultur Tätigen sowie für die vielfältigen kulturellen Einrichtungen – von der freien Szene bis zu großen Kulturinstitutionen – zu schaffen. Diese Rahmenbedingungen sollen gleichermaßen Innovation wie Planungssicherheit und soziale Unterstützung für Künstlerinnen und Künstler ermöglichen (Seite 46), wenngleich grübeln lässt, wie dies mit Leistungsvereinbarungen mit kompetitiven Anteilen zur Stärkung der Eigentümervertreterverantwortung zusammenpasst. Schön zu lesen ist aber jedenfalls, dass die Weiterentwicklung der sozialen Absicherung der in der Kunst und Kultur Tätigen im Regierungsprogramm explizit Erwähnung findet (Seite 51).

Seitdem die Bekämpfung der Corona-Pandemie das Leben in Österreich bestimmt, ist alles anders. Nur bei der Kultur nicht. Diese kommt auch weiterhin in der Regierungsarbeit nicht vor. Es blieb denen, die gefördert (und sozial abgesichert) werden sollten, vorbehalten, darauf hinzuweisen, dass es in diesem Land auch Kunst und Kultur gibt und Kunst die Möglichkeit erfordert, sich entfalten zu können. Das fand – jedenfalls in der bis vergangenen März währenden „alten Normalität“ – natürlich vor allem in Ausstellungshallen, Museen und auf den Bühnen und in den Konzertsälen und Arenen der Kulturnation statt. Zumindest bis das Zusammenströmen größerer Menschenmengen 2 verboten wurde und Betretungsverbote nach COVID- Regelungen in Kraft getreten sind.

Wenn Theater, Opernhäuser und Konzertsäle nicht betreten werden dürfen, findet dort auch keine Kunst mehr statt. Das bedeutet natürlich, dass den Theaterbetreibern Einnahmen entgehen (je nach Höhe der von der öffentlichen Hand gewährten Subvention mehr oder weniger). Gut für diese, dass sich in vielen Verträgen der nicht fest angestellten, sogenannten „Freischaffenden“ oder „Gäste“ eine Regelung findet, von der wohl kaum jemand gedacht hatte, dass sie tatsächlich einmal Anwendung finden würde. Nämlich die über den Entfall des Anspruchs auf Bezahlung des Künstlers, wenn „höhere Gewalt“ seinen Auftritt verhindert. „Ka Musi, ka Geld“ – das muss doch einleuchten. 3 Dies ungeachtet des Umstandes, dass der Gesetzgeber (temporär 4) eine Regelung dafür geschaffen hat, die den Dienstnehmern ihren Anspruch auf Entgelt auch für den Fall sichert, dass sie Corona-bedingt ihren Arbeitsplatz nicht betreten dürfen. Und im Regelfall sind auch für nur bestimmte Zeit verpflichtete „Gäste“ auf einer österreichischen Bühne Dienstnehmer. Sprachlos macht die Argumentation, die Theaterunternehmen könnten vom Vertrag zurücktreten, weil die Künstler ihre Arbeit auf den geschlossenen und vom Betretungsverbot betroffenen Bühnen nicht angetreten hätten.

Wenn es dann heißt, dass die Theater, weil sie doch Steuergelder verwalten, keine Zahlungen ohne rechtliche Grundlage leisten dürften und aus rechtlichen Gründen keine Kulanz möglich wäre, erinnert das an Rechtsschutzversicherungen, die sich zur Verweigerung der Versicherungsleistung dieser Tage scheinbar grundsätzlich auf die in allgemeinen Bedingungen erwähnte Leistungsfreiheit bei „höherer Gewalt“ berufen. Nur ist das bei diesen Teil des Geschäftsmodells.

Das könnte manche Künstler in einen Rechtsstreit mit einem Theater zwingen, um ihre bloße Existenz zu sichern – noch dazu (siehe oben) ohne Rechtsschutzdeckung, selbst wenn sie jahrelang Versicherungsprämien bezahlt haben. Schauspieler und Sänger gegen Theater und Oper vor Gericht? Zur Verteidigung der verwalteten Steuergelder? War mit den „kompetitiven Anteilen zur Stärkung der Eigentümervertreterverantwortung“ im Regierungsprogramm wirklich das gemeint? Vielleicht weil es das Postulat von Kunst und Kultur als „bedeutende Elemente gesellschaftlichen Zusammenhalts“ nicht vom Programm der Regierung Kurz I ins aktuelle Regierungsprogramm geschafft hat? Wer hätte je gedacht, dass ein solches so genau eingehalten werden würde?

Und worüber freuen sich die Theater dann eigentlich, wenn sie gegen die Künstler Recht vor Gericht behalten, weil das As „höhere Gewalt“ sticht? Wäre es ein bedauerlicher, aber unvermeidbarer Kollateralschaden, dass Menschen, die es möglich machten, dass Publikum Aufführungen besuchte, aus Sorge um ihre Existenz die Branche wechseln? Jeder ist ersetzbar, auch im Theater und der Oper, wird da wohl argumentiert werden. Aber hier geht es um menschliche Existenzen und Individuen und deren künstlerische Entfaltung, nicht um Maschinen oder Massenwaren. Und kommen Besucher in die Theater, weil die Gebäude so schön sind oder die Direktoren juristisch ausgefuchste Verträge verfassen (lassen) konnten? Oder vielleicht doch wegen der Personen, die dort ihre Kunst anbieten (von der Maske – verzeihen Sie das Wortspiel – über das Orchester und den Chor bis hin zu den Solisten)? Wenn „höhere Gewalt“ die Künstler in die Knie zwingt, lässt sich aus Theatern in guter Lage aber ja noch ein Luxushotel oder schlimmstenfalls ein Amazon-Auslieferungslager machen. Sollte man den Direktoren empfehlen, an Loges Schlussworte in Rheingold zu denken? 5 Kulturnation adé!?

Dass die Theaterdirektoren auch an die Regelungen des UGB oder des GmbHG gebunden sind und sich daran halten, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen, wenn man von ihnen erwartet, wie Wirtschaftskapitäne zu agieren. Aber lässt sich Kunst wirklich nur mit den Werkzeugen des Wirtschaftslebens administrieren?

Wenn die Theater oder Opernhäuser fliegen könnten, dann hätten sie es gut. Denn zum einen wären dann die Betretungsverbote schon weggefallen (was nach jüngsten Aussagen des Gesundheitsministers auch für Bühnen Ende Mai tatsächlich folgen soll), aber vor allem müsste dann kein „Abstand von mindestens einem Meter, wie sonst verordnet, eingehalten werden. 6

Und wenn die Regierung darüber nachdächte, nicht nur die Luftfahrt zu retten, sondern einen winzigen Bruchteil der dafür notwendigen Kosten auch für die Bezahlung der Gagen für Corona-bedingt abgesagte Vorstellungen zur Verfügung stellte, könnten Theater den vielen freischaffenden Künstlern zumindest den Entfall ihrer Gagen dieser Spielzeit ersetzen. Schon mit 10 Promille der Hilfe für die Luftfahrt wäre viel erreicht. Und erst dann ist das Regierungsprogramm mehr Wert als das Druckpapier dafür.

Don´t dream it´s over sang Neil Finn. Der passende Soundtrack zum aktuellen Stück auf der Regierungsbühne, könnte man meinen. Wie irritierend (oder Hoffnung spendend?), dass seine Band Crowded House hieß.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Finanzminister, sehr geehrter Herr Vizekanzler, sehr geehrte Frau Kulturstaatssekretärin, ermächtigen Sie die Opern-, Theater- und Festspielintendanten und -direktoren dieses Landes, freischaffenden Künstlern und Gästen ihre Gagen zu bezahlen und unterstützen Sie diese, indem Sie sich selbst beim Wort nehmen als es noch hieß „koste es, was es wolle“. 7

 

am Tag der Hl. Corona, 2020

 

 

1 Stefan Karner/Lorenz Mikoletzky, wissenschaftliche Ausstellungsleitung Republik. Ausstellung 1918/2008 (2008).

2 § 15 Epidemiegesetz.

3 Vielleicht ist es bezeichnend, dass der Urheber dieses Satzes, André Kostolany, als Börsenspekulant wirkte.

4 Für die Dauer vom 16.3.2020 bis zum 31.12.2020.

5 Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen.

6 § 11 Abs 8 COVID-19-LV. Das Flugzeug wird in Coronazeiten damit der Ort zum Anbahnen zwischenmenschlicher Kontakte (in der realen Welt) – Can I sit next to you, girl?, wie Angus und Malcolm Young schon Bon Scott singen ließen, wäre die musikalische Begleitung dazu.

7 https://www.diepresse.com/5787203/koste-es-was-es-wolle-regierung-stemmt-sich-gegen-coronakrise