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Vereinsrecht

Eine Bezirkshauptmannschaft, eine Bahnwärterstochter und ein Essigkrug (29.9.2020)

„Auf was die Fachleut alles kommen, wenn man sie lasst“ lässt Fritz von Hermanovsky-Orlando (1877 – 1954), dieser Großmeister der österreichischen Skurrilitäten, Kaiser Josef II. zur Bahnwärterstochter sagen. Anlass für seine Verwunderung ist die begeisterte Schilderung der Bahnwärterstochter, dass es nun auch Eisenbahnwaggons geben soll, die nur mehr aus den Seitenteilen bestehen, die billigste Klasse, sozusagen. Während die ÖBB derartige Fachleute glücklicherweise schon seit einiger Zeit in Pension geschickt hat, finden deren Brüder und Schwestern im Geiste offenbar in so mancher Vereinsbehörde nach wie vor ihr Auskommen. „Fachleut“ würden wir sie allerdings nicht nennen, jedenfalls nicht fürs Vereinsrecht.

So hat die BH Innsbruck ein eigenes Formular dafür aufgelegt, mit dem man – coronabedingt – „um Aufschiebung der Versammlung bis 31. 12. 2020 und Verlängerung der Funktionsperiode des Vorstandes bis 31. 12. 2020“ ersuchen kann, und wenn man behauptet, dass an der Mitgliederversammlung mehr als 50 Personen teilnahmeberechtigt wären, kann man sogar um Aufschiebung der Versammlung bis 31. 12. 2021 und Verlängerung der Funktionsperiode des Vorstandes bis 31. 12. 2021 ersuchen. Nein, das Wort „untertänigst“ steht da nicht im Text, hinzudenken darf man es sich aber – wenn eine Behörde glaubt, es stünde in ihrer Macht, etwas zu bewilligen (oder gar zu verweigern), das den Vereinen schon der Gesetzgeber eingeräumt hat. Wer lesen kann, ist im Vorteil, und wer die nicht allzu schwer zu verstehenden Abs. 3a und 4 des § 2 des gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetzes lesen kann, hat überhaupt schon gewonnen. Dort steht nämlich, dass (u.a.) Vereinsversammlungen jedenfalls bis Ende 2020 aufgeschoben werden können, und wenn mehr als 50 Personen teilnahmeberechtigt sind, bis Ende 2021. Da braucht man niemanden mehr zu fragen, auch keine BH. Das ist einfach so, kraft unmittelbarer Anwendung des Gesetzes.

Aber wenn man schon eine Kompetenz für etwas in Anspruch nimmt, das ohnehin der Gesetzgeber schon gegeben hat, warum sich nicht gleich auch überhaupt an die Stelle des Gesetzgebers setzen? Denn das drollige Formular lässt die Bittsteller ja auch um „Verlängerung der Funktionsperiode des Vorstandes“ ersuchen! Und die Behörde „bewilligt“ das, und trägt die so „verlängerte“ Funktionsperiode auch ins ZVR ein! Und das geht schon gar nicht, greift sie doch damit in Privatrechte ein, wo die Verwaltungsbehörde nichts verloren hat. Und von einer Verlängerung von Funktionsperioden spricht weder Gesetz noch Verordnung.

Irgendwie erinnert das an die Geschichte von Mann und Frau im Essigkrug, mit dem ewig unzufriedenen Paar: „Und doch sind sie jetzt noch nicht zufrieden gewesen, und sagten immer: ‚Wir müssen noch etwas mehr werden!‘ Da sprach die Frau: ‚Werden wir Kaiser und Kaiserin.‘ ‚Nein!‘ sagte der Mann, ‚Wir wollen Papst werden!‘ – ‚Hoho! Das ist alles nicht genug!‘ schrie die Frau in ihrem Eifer. ‚Wir wollen lieber Herrgott sein!‘“ Die Zwischenstufe mit dem Gesetzgeber hat die eifrige Frau übersprungen, aber für einen Juristen sind Gott und Gesetzgeber eh dasselbe. Gut ausgegangen ist die Geschichte nicht: „Kaum aber hatte sie dies Wort ausgeredet, so ist ein mächtiger Sturmwind gekommen, und ein großer schwarzer Vogel mit funkelnden Augen, die wie Feuerräder rollten, ist zum Fenster herein geflogen, und hat gerufen, dass Alles erzitterte: ‚Dass ihr versauern müsst im Essigkrug!‘ Plautz, und da war alle Herrlichkeit zum Guckuk, und da saßen sie alle beide, der Mann und die Frau, wieder in ihrem engen Essigkrug drin; da sitzen sie noch und können auch drin bleiben bis an den jüngsten Tag. Das ist eine Lehre für Solche, die nie nie genug bekommen können.“

Und vielleicht sollte diese Geschichte von Ludwig Bechstein auch eine Lehre für die BH Innsbruck sein. Obwohl – Corona-sicher ist man im Essigkrug ganz zweifellos.