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Arbeitszeitaufzeichnung – Wer hat wie aufzuzeichnen? (19.10.2022)

Das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer aktuellen Entscheidung Dienstgebern die Pflicht zur systematischen Arbeitszeitaufzeichnung auferlegt. Eine solche Verpflichtung hatte der EuGH schon vor drei Jahren aus der Grundrechtecharta (GRC) und der Arbeitszeit-Richtlinie abgeleitet. Damit kommt das BAG dem (bisher untätigen) deutschen Gesetzgeber zuvor, denn bis dato gibt es in Deutschland keine umfassende und europarechtskonforme Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung – anders in Österreich. Das österreichische Arbeitszeitgesetz (AZG) sieht bereits unionsrechtskonforme Verpflichtungen zur Aufzeichnung der Arbeitszeit vor, weshalb das Urteil des BAG hierzulande niemanden beunruhigt. In Deutschland ist der Aufruhr unter den Unternehmern jedoch groß.

Der Ausgangsfall

Der EuGH stellte im Jahr 2019 fest, dass es dem Schutzzweck des Art 31 Abs 2 GRC und der Arbeitszeit-Richtlinie entspreche, dass Dienstgeber eine umfassende und systematische Arbeitszeitaufzeichnung führen müssen. Nur so sei sichergestellt, dass der Gesundheitsschutz der Dienstnehmer gewahrt und Ruhezeiten und Höchstarbeitsgrenzen laut Arbeitszeitrichtlinie eingehalten werden. Den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten obliege es, entsprechende Verpflichtungen gesetzlich zu verankern, so der EuGH.

Deutschland: 0

In Deutschland sieht § 16 Abs 2 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) lediglich eine Verpflichtung zur Aufzeichnung von Sonntagsarbeit und Überstunden vor. Das ist im Lichte des EU-Rechts und dessen Auslegung durch den EuGH zu wenig. Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag zwar festgehalten, dass zu prüfen sei, welcher „Anpassungsbedarf […] angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitszeitrecht“ bestehe, ein entsprechendes Gesetz ließ jedoch bisher auf sich warten.

Das BAG war schneller (Eigentor)

Aufgrund der Entscheidung des BAG gilt die Aufzeichnungsverpflichtung für Dienstgeber nun ab sofort und ohne Ausnahmen. Das dürfte nun auch den deutschen Gesetzgeber zu raschem Handeln zwingen, um für Klarheit und eine differenzierte Ausgestaltung zu sorgen. Denn unter den deutschen Unternehmern breitet sich bereits Widerstand und Ratlosigkeit ob der Umsetzung des Urteils aus.

Österreich: 1

In Österreich stellt sich die Lage anders dar. Die in § 26 AZG vorgesehenen Aufzeichnungspflichten treffen grundsätzlich die Dienstgeber. Ihr Umfang ist auch weiter als jener des deutschen Arbeitszeitgesetzes. Der Arbeitgeber hat „zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden“ zu führen. D.h., der Dienstgeber muss die Aufzeichnungen so (detailliert) führen, dass dadurch die Überwachung der Einhaltung der Schutzbestimmungen des AZG möglich ist.

Ausnahmen bietet das AZG zum Beispiel im Fall von vorwiegender Arbeit von zuhause aus (Abs 3). Betrachtet man diese Regelung im Lichte des Schutzzwecks der EU-Normen, so kommt man zu dem Schluss, dass die von dieser Regelung vor allem umfassten Außendienstmitarbeitenden und Home-Office-Dienstnehmer ihre Arbeitszeit gut kontrollieren und auch steuern können und so selbst Einfluss auf die Einhaltung von Arbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten haben. Die Einhaltung der Arbeitszeit-Richtlinie ist zusätzlich dadurch abgesichert, dass auch in diesen Fällen der Dienstgeber bei einer Übertretung wöchentlicher bzw. täglicher Höchstarbeitsgrenzen letztverantwortlich ist und somit ein Eigeninteresse an der Einhaltung hat.

In welcher Form Dienstgeber Arbeitsaufzeichnungen führen, also ob sie z.B. automationsunterstützte Systeme verwenden müssen, legte der EuGH nicht fest. Er entschied lediglich, dass die Aufzeichnung objektiv, verlässlich und zugänglich sein müsse. Das schließt nicht aus, dass eine Aufzeichnung per Zettel und Stift diesen Voraussetzungen entsprechen kann. Insbesondere in Betrieben, in denen eine automationsunterstütze Erfassung nicht effektiv möglich ist, wird eine händische Aufzeichnung weiter zu tolerieren sein, solange diese den Schutzzweck der EU-Normen nicht aushebelt.

Generell empfehlen wir, dort wo es möglich ist, auf eine elektronische Zeitaufzeichnung zurückzugreifen. Abgesehen vom Schutz der Dienstnehmer gibt es auch andere gute Gründe für Dienstgeber, möglichst umfassende Aufzeichnungen zu führen. Besonders in Streitfällen über Ansprüche nach Ende eines Dienstverhältnisses (Überstunden, Urlaubsersatzleistung, usw.) kann Ihnen eine vollständige, aussagekräftige und ordentliche Arbeitszeitaufzeichnung viel Kosten und Mühe ersparen.

 

Für Unterstützung in der Umsetzung einer gesetzeskonformen Arbeitszeitaufzeichnung und Fragen dazu steht Ihnen unser Arbeitsrechtsteam (unter georg.streit@h-i-p.at, nikolaus.sauerschnig@h-i-p.at, oder iris.reiss@h-i-p.at) gerne zur Verfügung.